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In memoriam Prof. Dr. Paul Goetsch

(geb. 11. März 1934 in Marburg, gest. am 7. April 2018 in Freiburg)

Am 7. April 2018 starb der international renommierte Anglist und Kanadist Paul Goetsch, Professor Emeritus der Albert-Ludwig-Universität Freiburg, im Alter von 84 Jahren. Als erster deutschsprachiger Anglist nach dem 2. Weltkrieg wurde er unter seinem Lehrer Prof. Horst Oppel an der Philipps-Universität Marburg mit einer Arbeit zur anglokanadischen Literatur promoviert: Das Romanwerk Hugh MacLennans: Eine Studie zum literarischen Nationalismus in Kanada (1960). Die Dissertation war das Ergebnis zweier Studienjahre, die Goetsch mit Unterstützung des kanadischen Mäzens Alan Coatsworth, dem Initiator der Kanada-Sammlung an der Universitätsbibliothek Marburg, von 1957 bis 1959 an der University of Toronto verbrachte. Die Dissertation war in zweifacher Weise eine Pionierleistung. Erstens erschloss sie der deutschsprachigen Anglistik der Nachkriegszeit mit Kanada wissenschaftlich ergiebiges Neuland. Zweitens war das Thema des literarischen Nationalismus angesichts der immer noch spürbaren Auswirkungen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland selbst 1960 nicht unproblematisch. Geboren am 11. März 1934 in Marburg und mit der Familie wenig später nach Kassel umgezogen hatte Goetsch als Neunjähriger den schrecklichen Bombenangriff auf Kassel in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1943 erlebt. Die Erinnerung daran hat ihn nie losgelassen und ihn gegen jede Art von nationalistischem Bazillus immun gemacht. Im Einklang mit seiner Überzeugung von der gesellschaftlichen Verfasstheit von Literatur legte er in der Dissertation und einem weiteren Aufsatz zu „Der literarische Nationalismus in Kanada seit 1960“ (1977) u.a. Einseitigkeiten der von der anglokanadischen Literaturkritik und Literatur entwickelten nationalen Selbstbilder offen. Unvergessen ist eine Kontroverse, die sein Vortrag „Das Bild der Vereinigten Staaten in der anglokanadischen Literatur der Gegenwart“ auf einer der legendären Gummersbacher Kanadatagungen (am 21.2.1981) mit der kanadischen Professorin Patricia Smart von der University of Toronto auslöste. Smart missverstand Goetschs Mahnung vor der Gefahr einer eindimensionalen Festschreibung nationaler Klischees und kritisierte sie als internationalistische Perspektive, welche die national-literarische Selbstvergewisserung Kanadas für illegitim erkläre.

Paul Goetsch war ein Kanadist der ersten Stunde. Schon auf dem ersten Kanada-Kolloquium in Gummersbach, 1977 von der Kanadischen Botschaft ausgerichtet, forderte er die Gründung einer Gesellschaft für Kanada-Studien (die zwei Jahre später beschlossen wurde) und schlug sogar die Schaffung eines zentralen Kanada-Instituts (das tatsächlich 1985 in Augsburg  eröffnet wurde) als Anlaufstelle für die Kanadaforschung vor.  Goetsch ermunterte verschiedene seiner Schüler und Schülerinnen, Ausflüge in die Kanadistik zu wagen, darunter auch den Verfasser dieses Nachrufs, der sich auf seinen Rat hin 1972 auf ein Stipendium des Canada Council bewarb und so zu einem begeisterten Kanadisten wurde.

Obwohl Goetschs Forschungsinteressen zu Kanada breit gefächert waren – zu nennen wären Beiträge etwa zur kanadischen Lyrik, kanadischem Englisch, Reiseliteratur, Margaret Atwood, Brian Moore und Timothy Findley – beschränkte sich seine Forschertätigkeit keineswegs auf die Kanadistik.  Als Repräsentant einer selten gewordenen Spezies von Wissenschaftlern vertrat er das Fach Englische Philologie in beeindruckender Breite und Tiefe. Er war vor allem auch ein renommierter Amerikanist und Anglist, dessen zahlreiche Veröffentlichungen (darunter alleine 11 Monographien) Literatur von der Shakespearezeit bis in die Gegenwart sowie alle bedeutenden Literaturgattungen abdeckten.  Grundlage seines wissenschaftlichen Ethos waren seine Gewissenhaftigkeit, sein Bemühen um Objektivität, seine Unvoreingenommenheit, seine Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem und seine Fairness, von der Studierende wie MitarbeiterInnen und KollegInnen stets profitierten.

Die Gesellschaft für Kanada-Studien trauert um ihr langjähriges Mitglied Paul Goetsch.

Konrad Groß (Kiel)